Besteht ein Anspruch auf Löschung einer selbst erwirkten Gegendarstellung aus dem Online-Archiv eines Presseorgans, auch wenn die unzulässige Erstmitteilung dort nicht mehr zum Abruf vorgehalten wird? Mit dieser Frage hatte sich aktuell der Bundesgerichtshof zu befassen:

In dem hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall nimmt der Kläger den beklagten AS-Verlag auf Entfernung einer von ihm selbst erwirkten Gegendarstellung aus deren Online-Archiv in Anspruch. Der Verlag veröffentlichte am 15.01.2016 auf ihrem Online-Portal „www.bild.de“ einen den Kläger identifizierenden Artikel, in welchem über ein gegen ihn geführtes Ermittlungsverfahren berichtet wurde. Dabei wurde auch behauptet, gegen den Kläger werde wegen des Verdachts der Zuhälterei ermittelt und er habe einen Großteil der Taten gestanden. Auf Verlangen des Klägers veröffentlichte die Online-Zeitung am 24.01.2016 eine mit seinem vollen Namen gezeichnete Gegendarstellung. Darüber hinaus erwirkte der Kläger im Februar 2016 eine einstweilige Verfügung gegen die Online-Zeitung, worauf diese sich im Wege der Abschlusserklärung verpflichtete, die zugrundeliegenden Behauptungen zu unterlassen.
Die angegriffenen Äußerungen sowie der Artikel vom 15.01.2016 sind auf der Webseite der Online-Zeitung nicht mehr verfügbar. Die Gegendarstellung kann weiterhin über ihre URL und über die Suchfunktion auf der Webseite der Online-Zeitung abgerufen werden. Bei einer Suche nach dem Namen des Klägers auf der Webseite der Online-Zeitung erscheint insoweit lediglich ein Sucheintrag mit dem Titel „Gegendarstellung“. Bei einer Suche nach dem Namen des Klägers mit der Suchmaschine „Google“ erscheint die Gegendarstellung auf den ersten zehn Ergebnisseiten nicht. Im November 2017 erging gegen den Kläger ein rechtskräftiger Strafbefehl wegen sexuellen Missbrauchs einer Jugendlichen (§ 182 StGB). Die Zulässigkeit der Berichterstattung vom 15.01.2016 im Übrigen war Gegenstand eines gesonderten Verfahrens[1].
Das erstinstanzlich hiermit befasste Landgericht Frankfurt am Main hat der auf Unterlassung des weiteren Vorhaltens der Gegendarstellung auf der Webseite der Online-Zeitung gerichteten Klage stattgegeben[2]. Die Berufung der Online-Zeitung blieb vor dem Oberlandesgericht ohne Erfolg[3], ebenso auch die vom Berufungsgericht zugelassenen Revision des hat der auf Unterlassung des weiteren Vorhaltens der Gegendarstellung auf der Webseite der Online-Zeitung gerichteten Klage stattgegeben. Die Berufung der Online-Zeitung blieb vor dem Oberlandesgericht ohne Erfolg. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Online-Zeitung ihr Ziel der Klageabweisung weiter.erlages:
Der Gegendarstellungsanspruch dient seiner Natur nach vorrangig dem Schutz des Persönlichkeitsrechts des Betroffenen[4]. Demjenigen, dessen Angelegenheiten in den Medien öffentlich erörtert werden, wird ein Anspruch darauf eingeräumt, an gleicher Stelle, mit derselben Publizität und vor demselben Forum mit einer eigenen Darstellung zu Wort zu kommen; er kann sich alsbald und damit besonders wirksam verteidigen, während etwaige daneben bestehende zivil- und strafrechtliche Mittel des Persönlichkeitsschutzes bei Durchführung des Hauptsacheverfahrens regelmäßig erst in einem Zeitpunkt zum Erfolg führen, in dem der zugrundeliegende Vorgang in der Öffentlichkeit bereits wieder vergessen ist[5].
Die Gegendarstellung bleibt dabei stets an eine Erstmitteilung in der Presse gebunden. Nur wer zunächst von ihr zum Gegenstand öffentlicher Erörterung gemacht worden ist, kann die Wiedergabe seiner Darstellung verlangen. Schließlich ist der Anspruch auch nach Gegenstand und Umfang durch die Erstmitteilung begrenzt. Der Betroffene kann nur den in der Erstmitteilung enthaltenen Tatsachen widersprechen und muss dabei einen angemessenen Rahmen wahren, der regelmäßig durch den Umfang des beanstandeten Textes bestimmt wird[6]. Die Gegendarstellung ist damit von der Erstmitteilung abhängig[7].
Vor diesem Hintergrund kann der Kläger nach den Umständen des Falles von der Online-Zeitung die Entfernung seiner Gegendarstellung vom 24.01.2016 aus deren Online-Archiv verlangen, § 1004 Abs. 1 Satz 2 analog, § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG.
Mit dem fortdauernden Vorhalten der Gegendarstellung zum Abruf in ihrem Online-Archiv greift die Online-Zeitung in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers in seiner Ausprägung als Recht der persönlichen Ehre und des guten Rufes ein.
Durch die Bezugnahme auf die Erstmitteilung werden die dort enthaltenen – unwahren – Vorwürfe in der Gegendarstellung gespiegelt und damit – wenn auch in verneinter und damit für sich genommen zutreffender Form – in Erinnerung gerufen. Auch wenn die hier maßgeblichen Behauptungen der Erstmitteilung in der Gegendarstellung in Abrede sowie in der redaktionellen Anmerkung der Online-Zeitung richtig gestellt werden, machen sie diese doch gleichsam im Reflex weiterhin zugänglich, geben Anlass und eröffnen Raum für Spekulation und beeinträchtigen damit das Ansehen des Klägers – semper aliquid haeret.
Dem steht nicht entgegen, dass der Kläger die Gegendarstellung selbst formuliert und die Online-Zeitung sie ursprünglich auf Verlangen des Klägers auf ihrer Webseite eingestellt hat. Denn der Kläger war gegendarstellungsrechtlich gehalten, bei Formulierung seiner Gegendarstellung an die Erstmitteilung anzuknüpfen, die Erstmitteilung folglich konkret zu bezeichnen und diejenigen Tatsachenbehauptungen, gegen die er sich wenden wollte, konkret und zutreffend wiederzugeben[8]. Der Kläger hat damit nicht etwa freiwillig selbst die nun beanstandeten Informationen offenbart, sondern war hierzu durch die – unwahre Tatsachenbehauptungen enthaltende – Erstmitteilung der Online-Zeitung gezwungen, wenn er von seinem Recht auf Gegendarstellung Gebrauch machen wollte. Diese Rechtsausübung kann jedenfalls im Verhältnis zum Erstschädiger nicht gegen ihn gewendet werden. Andernfalls führte die verfahrensrechtliche Ausgestaltung des Gegendarstellungsrechts, die sich ebenfalls an dem in Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG gewährleisteten Persönlichkeitsrecht messen lassen muss[9], im Ergebnis zu einer Entwertung der materiellen Grundrechtsposition des Klägers.
Die Beeinträchtigung ist auch rechtswidrig.
Wegen der Eigenart des Persönlichkeitsrechts als Rahmenrecht liegt seine Reichweite nicht absolut fest, sondern muss grundsätzlich erst durch eine Abwägung der widerstreitenden grundrechtlich geschützten Belange bestimmt werden, bei der die besonderen Umstände des Einzelfalls sowie die betroffenen Grundrechte und Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention interpretationsleitend zu berücksichtigen sind. Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht ist nur dann rechtswidrig, wenn das Schutzinteresse des Betroffenen die schutzwürdigen Belange der anderen Seite überwiegt[10]. Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt ist dabei der Zeitpunkt des Löschungsverlangens. Im Streitfall ist das durch Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK gewährleistete Interesse des Klägers am Schutz seines Persönlichkeitsrechts mit dem in Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 Abs. 1 EMRK verankerten Recht der Online-Zeitung auf Presse- und Meinungsfreiheit abzuwägen.
Diese Abwägung fällt hier zugunsten des Klägers aus.
Maßgeblicher Gegenstand der Abwägung ist allein der Inhalt der Gegendarstellung einschließlich der redaktionellen Anmerkung der Online-Zeitung betreffend die beiden unwahren Tatsachenbehauptungen der Online-Zeitung, gegen den Kläger werde wegen des Verdachts der Zuhälterei ermittelt und er habe den Großteil der Taten gestanden. Entgegen der Auffassung der Revision ist die Abwägung nicht um den übrigen – zudem nicht mehr abrufbaren – Inhalt der Erstmitteilung vom 15.01.2016 zu erweitern. Zwar mag der Kläger mit der von ihm verübten Straftat insgesamt den Anlass zur Erstmitteilung vom 15.01.2016 gegeben haben. Doch handelt es sich, anders als die Revision meint, nicht etwa um die unnatürliche Aufspaltung eines einheitlichen Lebenssachverhalts (§ 286 ZPO), wenn der Frage der Rechtmäßigkeit der Erstmitteilung im Übrigen[11] im Streitfall kein entscheidendes Gewicht zukommt. Eine unzulässige Äußerung wird nicht dadurch zulässig, dass eine[12] Mitteilung im Übrigen zulässige Äußerungen enthält.
Auch wenn die Gegendarstellung für sich genommen lediglich wahre Tatsachenbehauptungen enthält, belastet sie den Kläger doch durch die zwangsläufige Reaktualisierung der ursprünglichen – unwahren – Tatsachenbehauptungen[13]. Zugunsten des Klägers fällt insoweit erschwerend ins Gewicht, dass es sich bei dem Verdacht der Zuhälterei um einen schwerwiegenden Vorwurf handelt.
Entgegen der Auffassung der Revision wiegt das Schutzinteresse des Klägers nicht allein deshalb weniger schwer als das Veröffentlichungsinteresse der Online-Zeitung, weil der streitgegenständlichen Gegendarstellung keine Breitenwirkung mehr zukomme. Nach den insoweit nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts ist die Gegendarstellung zwar nicht ohne weiteres über eine Namenssuche bei der Suchmaschine von Google, wohl aber über die direkte Eingabe ihrer URL und über eine Namenssuche mittels der Suchfunktion auf der Webseite www.bild.de und damit weltweit auf der Seite eines bekannten Onlinemediums abrufbar. Sie ist damit – wenngleich weniger leicht – weiterhin für Dritte zugänglich. Die Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts des Klägers ist damit zwar deutlich weniger intensiv als bei einem prioritären Nachweis der Gegendarstellung über eine allgemeine Namenssuche mittels einer gängigen Suchmaschine[14], sie ist aber weiterhin vorhanden.
Dem kann die Online-Zeitung hier kein schützenswertes Interesse an dem weiteren Vorhalten der Gegendarstellung in ihrem Online-Archiv entgegenhalten.
Zwar liegt die Möglichkeit, einmal veröffentlichte Berichte online vollständig zu archivieren und als Spiegel der Zeitgeschichte zu erhalten, grundsätzlich im öffentlichen Interesse und auch im von Art. 5 Abs. 1 GG erfassten eigenen Interesse der Presseverlage[15]. Doch ist die Interessenlage im Übrigen im vorliegenden Fall schon im Ausgangspunkt eine andere als in den zuletzt vom Bundesgerichtshof[16]; und vom Bundesverfassungsgericht[17] zur Frage der Online-Archive entschiedenen Fällen. Ging es dort jeweils um die Frage der Zulässigkeit der (weiteren) Archivierung von eigener Berichterstattung und damit im Ausgangspunkt auch um die Freiheit der Presse, steht hier die Archivierung einer Gegendarstellung des von einer solchen Berichterstattung Betroffenen in Rede, die dieser gerade gegen die Online-Zeitung und in – freilich gerechtfertigter – Beeinträchtigung von deren Pressefreiheit durchgesetzt hat.
Ein schützenswertes Interesse an dem weiteren Vorhalten der – im Umfang der Gegendarstellung bereits ursprünglich rechtswidrigen – Erstmitteilung vom 15.01.2016 im Online-Archiv der Online-Zeitung besteht nicht[18]. Ein solches wird von der Online-Zeitung, die sich diesbezüglich zur Unterlassung verpflichtet hat, auch nicht geltend gemacht; die Erstmitteilung selbst ist im Online-Archiv der Online-Zeitung auch nicht abrufbar. Nichts anderes kann dann aber auch für die Gegendarstellung gelten, die nach den oben unter II.1 und II. 2.a dargestellten Grundsätzen als Gegenrede notwendig inhaltlich mit der Erstmitteilung verbunden, formal mit dieser zu verknüpfen (vgl. § 56 Abs. 1 Satz 3 RStV, jetzt: § 20 Abs. 1 Satz 3 MStV) und insgesamt von dieser abhängig ist. Wird die unzulässige Tatsachenbehauptungen enthaltende Erstmitteilung nicht mehr zum Abruf angeboten, darf auch die Gegendarstellung mangels Gegen-Stücks jedenfalls über den Zeitraum des § 56 Abs. 1 Satz 4 RStV (jetzt: § 20 Abs. 1 Satz 4 MStV) hinaus nicht gegen den Willen des Betroffenen im Online-Archiv des Erstschädigers zum Abruf vorgehalten werden. Andernfalls würde der Schutzzweck der Gegendarstellung unterlaufen und im Ergebnis das Instrument der Gegendarstellung, die ihrer Natur nach vorrangig dem Schutz des Persönlichkeitsrechts des Betroffenen dient, in sein Gegenteil verkehrt.
Etwas anderes ergibt sich nicht aus dem Umstand, dass die Online-Zeitung sich der Gegendarstellung des Klägers in einer abschließenden redaktionellen Anmerkung angeschlossen und dem Kläger recht gegeben hat. Allein durch diese zustimmende Anmerkung verliert die Gegendarstellung nicht ihren Charakter als Rechtsschutzinstrument zugunsten des Betroffenen. Die redaktionelle Anmerkung der Online-Zeitung dient vielmehr allein der Korrektur einer früheren Falschbehauptung und beugt eventuellen weiteren Maßnahmen des Klägers vor[19]. Sie unterstreicht damit nur die auch inhaltliche Berechtigung der in der Gegendarstellung zum Ausdruck gebrachten Position des Klägers, nimmt aber nicht die dem Kläger durch die mittelbare Reaktualisierung der Vorwürfe entstehende Belastung.
Bei dieser Sachlage kommt es entgegen der Auffassung der Revision nicht darauf an, ob die Auffindbarkeit der Gegendarstellung für den Internetnutzer durch weitere Maßnahmen, etwa die weitergehende Sperrung für den Zugriff von gängigen Suchmaschinen und der eigenen Suchfunktion auf der Webseite der Online-Zeitung, weiter reduziert werden kann[20].
Bundesgerichtshof, Urteil vom 28. September 2021 – VI ZR 1228/20
- vgl. hierzu BGH, Urteil vom 17.12.2019 – VI ZR 249/18, AfP 2020, 143[↩]
- LG Frankfurt a.M., Urteil vom 17.10.2019 – 23 O 452718[↩]
- OLG Frnakfurt a.M., Urteil vom 27.08.2020 – 16 U 279/19[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 06.04.1976 – VI ZR 246/74, BGHZ 66, 182, 195 122[↩]
- BVerfGE 63, 131, 142 29 f.[↩]
- vgl. BVerfGE 97, 125, 147 117[↩]
- vgl. BVerfG, NJW 2018, 1596 Rn. 18[↩]
- vgl. Soehring/Hoene, Presserecht, 6. Aufl., Rn. 29.28; Burkhardt in Wenzel, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 6. Aufl., Kap. 11 Rn. 78 ff., Seitz, Gegendarstellungsanspruch, 5. Aufl., S. 84 ff.; Schulenberg in Schwartmann, Praxishandbuch Medien, IT- und Urheberrecht, 4. Aufl., Kap. 9 Rn. 232; jeweils mwN[↩]
- vgl. BVerfGE 63, 131, 143 31[↩]
- st. Rspr., vgl. zuletzt nur BGH, Urteil vom 29.06.2021 – VI ZR 52/18, AfP 2021, 322 Rn. 24 mwN[↩]
- vgl. hierzu aber BGH, Urteil vom 17.12.2019 – VI ZR 249/18, AfP 2020, 143[↩]
- darin in Bezug genommene[↩]
- s. dazu bereits oben II. 2.a[↩]
- vgl. hierzu BVerfGE 152, 152 Rn. 146 ff.[↩]
- vgl. BVerfGE 152, 152 Rn. 112 f., 130 mwN[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 22.09.2020 – VI ZR 476/19, AfP 2020, 494 mwN[↩]
- vgl. etwa BVerfG, AfP 2020, 302 mwN[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 16.02.2016 – VI ZR 367/15, NJW-RR 2017, 31 Rn. 31 ff.[↩]
- vgl. dazu Burkhardt in Wenzel, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 6. Aufl., Kap. 11 Rn. 188[↩]
- vgl. hierzu für den Fall der ursprünglich rechtmäßigen Berichterstattung BGH, Urteil vom 22.09.2020 – VI ZR 476/19, AfP 2020, 494 Rn. 11 ff.; BVerfG, AfP 2020, 302 Rn. 11; jeweils mwN[↩]