Zustellungen nach dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz

Für die Frage, ob Zustellungen an den gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 NetzDG benannten Zustellungsbevollmächtigten nach § 5 Abs. 1 Satz 2 NetzDG bewirkt werden können, kommt es maßgeblich darauf an, aus welchem Grund vom Anbieter des sozialen Netzwerks die Löschung von Inhalten begehrt wird beziehungsweise aus welchem Grund der Anbieter des sozialen Netzwerks Inhalte gelöscht und/oder Accounts gesperrt hat. Voraussetzung für eine Anwendbarkeit von § 5 Abs. 1 Satz 2 NetzDG ist jeweils eine Anknüpfung an rechtswidrige Inhalte im Sinne des § 1 Abs. 3 NetzDG.

Zustellungen nach dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz

Der Gläubiger genügt seiner Darlegungslast zur Wirksamkeit einer Zustellung gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 NetzDG, wenn er in der Begründung seines Antrags oder seiner Klage auf Wiederherstellung des entfernten oder gesperrten Inhalts ausreichende Anhaltspunkte dafür darlegt, dass es aus der Sicht eines verständigen Dritten angesichts des konkret entfernten Beitrags sowie der hierauf bezogenen Löschungs- und Sperrmitteilung jedenfalls ernsthaft in Betracht kommt, dass der streitgegenständliche Inhalt von dem Anbieter des sozialen Netzwerks in der Annahme der Verbreitung rechtswidriger Inhalte gelöscht und/oder der Account aus diesem Grund gesperrt worden ist. Der Netzwerkanbieter trägt dann die sekundäre Darlegungslast für seine Behauptung, eine die Zuständigkeit des Zustellungsbevollmächtigten auslösende Annahme der Verbreitung rechtswidriger Inhalte im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 2 NetzDG sei nicht Gegenstand des Verfahrens.

Handelt der Schuldner der Verpflichtung zuwider, eine Handlung zu unterlassen, so ist er nach § 890 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 ZPO wegen einer jeden Zuwiderhandlung auf Antrag des Gläubigers von dem Prozessgericht des ersten Rechtszuges zu einem Ordnungsgeld und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, zur Ordnungshaft oder zur Ordnungshaft bis zu sechs Monaten zu verurteilen.

Die im vorliegenden Fall durch die landgerichtliche Beschlussverfügung titulierte Verpflichtung der Schuldnerin, es zu unterlassen, einen bestimmten Kommentar des Gläubigers von der Internetplattform zu löschen und/oder den Gläubiger wegen dieses Kommentars zeitlich befristet durch Versetzen des Profils in den sogenannten „Readonly-Modus“ zu sperren, stellt eine Verpflichtung im Sinne von § 890 Abs. 1 Satz 1 ZPO dar, eine Handlung zu unterlassen.

Die einstweilige Verfügung war mit ihrem Erlass und damit zur Zeit der geltend gemachten Zuwiderhandlung auch unbedingt vollstreckbar. Hierzu bedurfte es nach der Natur der Sache keines besonderen Ausspruchs in der Entscheidung[1]. Auch eine Vollstreckungsklausel ist regelmäßig entbehrlich (vgl. § 929 Abs. 1 in Verbindung mit § 936 ZPO).

Die vom Gläubiger im Rahmen seines Ordnungsmittelantrags gemäß § 890 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 ZPO gerügte Zuwiderhandlung muss zu einem Zeitpunkt erfolgen, zu dem der Schuldner das durch die einstweilige Verfügung verhängte Verbot beachten muss. Eine im Beschlusswege ergangene einstweilige Verfügung bedarf zu ihrer Wirksamkeit der förmlichen Zustellung im Parteibetrieb nach § 922 Abs. 2 ZPO binnen der einmonatigen Vollziehungsfrist nach § 929 Abs. 2 Satz 1 Fall 2, § 936 ZPO. Eine nicht wirksame einstweilige Verfügung braucht der Schuldner nicht zu beachten[2].

Nach § 5 Abs. 1 Satz 1 NetzDG haben Anbieter sozialer Netzwerke im Inland einen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen und auf ihrer Plattform in leicht erkennbarer und unmittelbar erreichbarer Weise auf ihn aufmerksam zu machen. Nach § 5 Abs. 1 Satz 2 NetzDG in der bis zum 27.06.2021 geltenden Fassung konnten an diese Person Zustellungen in Verfahren nach § 4 NetzDG [Bußgeldverfahren] oder in Gerichtsverfahren vor deutschen Gerichten wegen der Verbreitung rechtswidriger Inhalte bewirkt werden. Mit dem Gesetz zur Änderung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes vom 03.06.2021[3] ist die Vorschrift des § 5 Abs. 1 Satz 2 NetzDG ergänzt worden. Nunmehr können an den Zustellungsbevollmächtigten Zustellungen in Bußgeldverfahren und in aufsichtsrechtlichen Verfahren nach den §§ 4 und 4a NetzDG oder in Gerichtsverfahren vor deutschen Gerichten wegen der Verbreitung oder wegen der unbegründeten Annahme der Verbreitung rechtswidriger Inhalte, insbesondere in Fällen, in denen die Wiederherstellung entfernter oder gesperrter Inhalte begehrt wird, bewirkt werden. Das gilt nach der ebenfalls neu gefassten Regelung gemäß § 5 Abs. 1 Satz 3 NetzDG auch für die Zustellung von Schriftstücken, die solche Verfahren einleiten, für Zustellungen von gerichtlichen Endentscheidungen sowie für Zustellungen im Vollstreckungs- oder Vollziehungsverfahren. Rechtswidrige Inhalte sind nach § 1 Abs. 3 NetzDG Inhalte im Sinne von § 1 Abs. 1 NetzDG, die den Tatbestand der §§ 86, 86a, 89a, 91, 100a, 111, 126, 129 bis 129b, 130, 131, 140, 166, 184b, 185 bis 187, 189, 201a, 241 oder 269 des Strafgesetzbuchs erfüllen und nicht gerechtfertigt sind.

Das Oberlandesgericht Köln hat in der Vorinstanz angenommen[4], die Vorschrift des § 5 Abs. 1 Satz 2 NetzDG sei nicht anwendbar, weil Gegenstand des Verfahrens kein „rechtswidriger Inhalt“ im Sinne von § 1 Abs. 3 NetzDG sei. Bei der von der Schuldnerin gelöschten Äußerung im Profil des Gläubigers handele es sich nicht um einen Inhalt, der einen der in § 1 Abs. 3 NetzDG aufgeführten Tatbestände erfülle. Vielmehr gehe es bei der Äußerung nur um Fragen eines Verstoßes gegen die Gemeinschaftsstandards der Schuldnerin.

Unerheblich sei in diesem Zusammenhang, ob der Gläubiger angesichts der Löschungs- und Sperrmitteilung der Schuldnerin habe davon ausgehen müssen oder auch nur können, ihm werde möglicherweise ein unter § 1 Abs. 3 NetzDG zu fassendes strafbares Verhalten vorgeworfen. Daran bestünden schon im Tatsächlichen Bedenken, weil die Mitteilung der Schuldnerin gerade nicht auf ein strafbares Verhalten abstelle, sondern nur ihre Gemeinschaftsstandards in Bezug nehme. Danach könnten gerichtsbekannt auch solche Äußerungen gelöscht werden, die nicht unter § 1 Abs. 3 NetzDG fielen. Entgegen der Auffassung des Landgerichts rechtfertige allein die Verwendung des Begriffs „Hassrede“ keinen Rückschluss auf den Vorwurf eines strafbaren Verhaltens. Letztlich komme es auf diese Frage aber nicht an, weil die Anwendbarkeit von § 5 Abs. 1 Satz 2 NetzDG nicht davon abhänge, wie die Löschungsmitteilung der Schuldnerin nach dem objektiven Empfängerhorizont auszulegen sei. Vielmehr sei der jeweilige Verfahrensgegenstand und damit die beanstandete Äußerung entscheidend, die einer rechtlichen Bewertung dahingehend zu unterziehen sei, ob sie zu den in § 1 Abs. 3 NetzDG genannten „rechtswidrigen Inhalten“ gehöre.

Auf Verfahren vor deutschen Gerichten, die sich nicht auf solche rechtswidrigen Inhalte, sondern auf sonstige Inhalte bezögen, könne die Zustellungsbevollmächtigung nach § 5 Abs. 1 Satz 2 NetzDG jedenfalls mit Blick auf das Herkunftslandprinzip in Art. 3 der Richtlinie 2000/31/EG nicht erstreckt werden.

Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

Die Zustellungsbevollmächtigung nach § 5 Abs. 1 Satz 2 NetzDG hat von Beginn an jedenfalls Gerichtsverfahren erfasst, in denen der Anbieter eines sozialen Netzwerks auf Beseitigung oder Unterlassung bestimmter rechtswidriger Inhalte in Anspruch genommen wird. Mit der Ergänzung dieser Vorschrift mit Wirkung zum 28.06.2021 wollte der Gesetzgeber Unsicherheiten beseitigen und klarstellen, dass unter die Vorschrift darüber hinaus – spiegelbildlich – auch Klagen auf Wiederherstellung von gelöschten Inhalten oder – mit der Begründung des Vorliegens rechtswidriger Inhalte – gesperrter Accounts wegen – aus Sicht der Kläger – zu Unrecht als rechtswidrig eingestufter Inhalte fallen[5]. Mit der Neufassung von § 5 Abs. 1 Satz 3 NetzDG wurde zudem klargestellt, dass „der Geltungsbereich des Zustellungsbevollmächtigten für Zustellungen in Gerichtsverfahren weit zu verstehen ist“ und zum Beispiel auch für die Zustellung von Terminsladungen und für Zustellungen im Vollstreckungs- oder Vollziehungsverfahren gilt[6].

Für die Frage, ob Zustellungen an den benannten Zustellungsbevollmächtigten nach § 5 Abs. 1 Satz 2 NetzDG bewirkt werden können, kommt es danach maßgeblich darauf an, aus welchem Grund vom Anbieter des sozialen Netzwerks die Löschung von Inhalten begehrt wird beziehungsweise aus welchem Grund der Anbieter des sozialen Netzwerks Inhalte gelöscht und/oder Accounts gesperrt hat.

Voraussetzung für eine Anwendbarkeit von § 5 Abs. 1 Satz 2 NetzDG ist dabei jeweils eine Anknüpfung an rechtswidrige Inhalte im Sinne des § 1 Abs. 3 NetzDG. Eine darüberhinausgehende oder analoge Anwendung der Vorschrift zwecks Erstreckung auf sonstige, nicht rechtswidrige Inhalte kommt mangels planwidriger Regelungslücke nicht in Betracht. Das ergibt sich aus dem Gesetzeswortlaut, der sich ausschließlich auf rechtswidrige Inhalte bezieht, und dem in der Begründung zum Gesetzesentwurf manifestierten gesetzgeberischen Willen. Der Gesetzgeber wollte mit der Neufassung Wiederherstellungsklagen bei zu Unrecht als rechtswidrig eingestuften Inhalten ermöglichen (sog. Putback-Verfahren) und die Zuständigkeit des Zustellungsbevollmächtigten insoweit klarstellen[7]. Es sollte dagegen keine generelle Zustellungsbevollmächtigung losgelöst von rechtswidrigen Inhalten geschaffen werden. Letzteres war im ursprünglichen Entwurf zum Netzwerkdurchsetzungsgesetz 2017 noch vorgesehen[8]. Hiervon wurde im Gesetzgebungsverfahren jedoch Abstand genommen[9]. Auf spätere Forderungen, die Zustellungsbevollmächtigung auszuweiten[10], ist der Gesetzgeber im Rahmen der Änderung der Vorschrift im Jahr 2020/2021 nicht eingegangen. Der Wortlaut von § 5 Abs. 1 Satz 2 NetzDG ist danach auch nach der Neufassung im Jahr 2021 eindeutig und nur auf rechtswidrige Inhalte bezogen. Die Anknüpfung an rechtswidrige Inhalte im Sinne von § 1 Abs. 3 NetzDG, also an Straftatbestände, war eine gesetzgeberische Grundsatzentscheidung. Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz befasst sich (allein) mit der Bekämpfung von Hasskriminalität und anderer strafbarer Inhalte[11], nicht jedoch mit reinen Vertragsverstößen.

Der Gläubiger ist für das Vorliegen der Zwangsvollstreckungsvoraussetzungen – und damit auch für die wirksame Zustellung einer Beschlussverfügung – nach den allgemeinen Regeln darlegungs- und beweisbelastet[12]. Das gilt auch für die Voraussetzungen einer Zustellung gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 NetzDG. Dabei greift keine gesetzliche Vermutung ein. Zwar finden die für doppelrelevante Tatsachen geltenden Grundsätze keine Anwendung. Allerdings ist bei den Anforderungen an die Darlegungslast des Gläubigers zu berücksichtigen, dass die Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Satz 2 NetzDG an Umstände in der Sphäre des Netzwerkanbieters anknüpfen.

Soweit vertreten wird, die in § 1 Abs. 4 NetzDG begründete Vermutung, eine Beanstandung sei im Zweifel als Beschwerde über rechtswidrige Inhalte zu verstehen, müsse für das spiegelbildliche Begehren, einen gelöschten Beitrag wiederherzustellen, ebenfalls gelten, steht dem der Wortlaut von § 5 Abs. 1 Satz 2 NetzDG entgegen. Nach § 1 Abs. 4 NetzDG ist eine Beschwerde über rechtswidrige Inhalte jede Beanstandung eines Inhalts mit dem Begehren der Entfernung des Inhalts oder der Sperrung des Zugangs zum Inhalt, es sei denn, dass mit der Beanstandung erkennbar nicht geltend gemacht wird, dass ein rechtswidriger Inhalt vorliegt. Die Vorschrift über den inländischen Zustellungsbevollmächtigten enthält keine entsprechende gesetzliche Vermutung. Nach § 5 Abs. 1 Satz 2 NetzDG ist für die Zustellung an den inländischen Zustellungsbevollmächtigten vielmehr (allein) maßgeblich, ob Inhalte in der Annahme gelöscht worden sind, es handele sich um die Verbreitung rechtswidriger Inhalte. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass diese Voraussetzung dahingehend zu verstehen wäre, dass der Grund für die Löschung und/oder Sperrung im Zweifel die (unbegründete) Annahme der Verbreitung rechtswidriger Inhalte war.

Ob auf die Regelung in § 1 Abs. 4 NetzDG, die erst seit dem 1.02.2022 in Kraft ist[13], im Streitfall überhaupt zurückgegriffen werden könnte, bedarf hier deshalb keiner Entscheidung.

Auch die bei doppelrelevanten Tatsachen geltenden Grundsätze können nicht auf die Prüfung der Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Satz 2 NetzDG übertragen werden. Nach diesen Grundsätzen muss der Kläger oder Antragsteller Tatsachen, die sowohl für die Zulässigkeit als auch für die Begründetheit der Klage entscheidend sind, auf der Ebene der Zulässigkeit nicht beweisen; vielmehr reicht insofern schlüssiger Vortrag[14]. Bei der in Streit stehenden Frage, ob die Zustellung einer Beschlussverfügung an den inländischen Zustellungsbevollmächtigten wirksam ist, geht es schon nicht um Tatsachen, die sowohl für die Zulässigkeit als auch für die Begründetheit der Klage oder des Antrags entscheidend sind. Es geht auch nicht um dieselben Tatsachen: Für die Frage der Zustellungsmöglichkeit nach § 5 Abs. 1 Satz 2 NetzDG ist die der Löschung und/oder Sperrung zugrundeliegende Annahme des Anbieters des sozialen Netzwerks maßgeblich; für die Begründetheit des Antrags oder der Klage geht es dagegen um die Frage, ob der gelöschte Inhalt (tatsächlich) rechtswidrig im Sinne von § 1 Abs. 3 NetzDG ist. Zudem handelt es sich bei der hier streitigen Zustellung um eine Wirksamkeitsvoraussetzung der einstweiligen Verfügung, die zugleich Grundlage der Vollziehung ist (vgl. § 922 Abs. 2, § 929 Abs. 2 ZPO; BeckOK.ZPO/Mayer, 46. Edition [Stand 1.09.2022], § 922 Rn. 11). Diese Voraussetzung kann nicht aufgrund eines bloß schlüssigen Vortrags des Klägers oder Antragstellers als erfüllt angesehen werden.

Bei der Prüfung der Voraussetzungen von § 5 Abs. 1 Satz 2 NetzDG ist jedoch zu berücksichtigen, dass dem Gläubiger die Gründe des Netzwerkanbieters für die Löschung des Inhalts und/oder die Sperre des Accounts nicht ohne weiteres zugänglich sein werden. Das gilt insbesondere, soweit die Mitteilung über eine Löschung und/oder Sperrung keinen (eindeutigen) Schluss auf die zugrundeliegende Motivation erlaubt, weil lediglich ein Verstoß gegen die Gemeinschaftsstandards oder die Nutzungsbedingungen des Netzwerkanbieters geltend gemacht wird und diese Standards oder Bedingungen sich mit „rechtswidrigen Inhalten“ im Sinne von § 1 Abs. 3 NetzDG teilweise überschneiden.

Der Grundsatz, dass der Gläubiger das Vorliegen der Zwangsvollstreckungsvoraussetzungen darlegen und beweisen muss, bedarf hier einer Einschränkung, weil die primär darlegungsbelastete Partei außerhalb des von ihr vorzutragenden Geschehensablaufs steht und ihr eine nähere Substantiierung nicht möglich oder nicht zumutbar ist, während die gegnerische Partei alle wesentlichen Tatsachen kennt oder unschwer in Erfahrung bringen kann und es ihr im Rahmen der ihr nach § 138 Abs. 2 ZPO obliegenden Erklärungspflicht zumutbar ist, sich zu den Behauptungen der beweispflichtigen Partei substantiiert zu äußern[15].

Der Gläubiger genügt seiner Darlegungslast zur Wirksamkeit der Zustellung daher, wenn er in der Begründung seines Antrags oder seiner Klage auf Wiederherstellung des entfernten oder gesperrten Inhalts ausreichende Anhaltspunkte dafür darlegt, dass es aus der Sicht eines verständigen Dritten angesichts des konkret entfernten Beitrags sowie der hierauf bezogenen Löschungs- und Sperrmitteilung jedenfalls ernsthaft in Betracht kommt, dass der streitgegenständliche Inhalt von dem Anbieter des sozialen Netzwerks in der Annahme der Verbreitung rechtswidriger Inhalte gelöscht und/oder der Account aus diesem Grund gesperrt worden ist[16]. Der Netzwerkanbieter trägt dann die sekundäre Darlegungslast für seine Behauptung, eine die Zuständigkeit des Zustellungsbevollmächtigten auslösende Annahme der Verbreitung rechtswidriger Inhalte im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 2 NetzDG sei nicht Gegenstand des Verfahrens. Genügt der Netzwerkanbieter seiner sekundären Darlegungslast nicht, gilt die Behauptung des Gläubigers nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden[17].

Ob die gelöschten Inhalte tatsächlich rechtswidrig im Sinne von § 1 Abs. 3 NetzDG sind, ist dagegen eine Frage der Begründetheit des Antrags oder der Klage.

Der Bundesgerichtshof wendet sich demnach gegen die Annahme des Oberlandesgerichts Köln, die Anwendbarkeit des § 5 NetzDG hänge davon ab, ob die beanstandete Äußerung (tatsächlich) zu den in § 1 Abs. 3 NetzDG genannten rechtswidrigen Inhalten gehöre, was durch eine rechtliche Bewertung der Äußerung festzustellen sei. Diese Auslegung der Vorschrift lässt sich nicht mit der im Gesetz aufgestellten Voraussetzung vereinbaren, dass die Zustellungsbevollmächtigung für Verfahren „wegen der unbegründeten Annahme der Verbreitung rechtswidriger Inhalte“ besteht; danach kommt es maßgeblich auf die Gründe für die Löschung des Inhalts und/oder die Sperre des Accounts an. Insofern wird zutreffend darauf hingewiesen, dass nach der Auffassung des Oberlandesgerichts Köln § 5 Abs. 1 Satz 2 NetzDG dann unanwendbar wäre, wenn die gesetzliche Voraussetzung dieser Vorschrift erfüllt ist und sich die Annahme der Verbreitung rechtswidriger Inhalte – im Rahmen einer vom Oberlandesgericht Köln durchgeführten materiellrechtlichen Vorabprüfung – als unbegründet erweist. Gerade für solche (begründeten) Wiederherstellungsklagen ist die Regelung des § 5 Abs. 1 Satz 2 NetzDG aber ergänzt worden[6].

Das Oberlandesgericht Köln wird im vorliegenden Fall aufgrund der Zurückverweisung durch den Bundesgerichthof nunmehr auf die weitere Aufklärung der Frage der wirksamen Zustellung hinwirken und insoweit Feststellungen dazu treffen müssen, ob der Gläubiger in seiner Antragsbegründung ausreichende Anhaltspunkte dafür dargelegt hat, dass es aus der Sicht eines verständigen Dritten angesichts des konkret entfernten Beitrags und der hierauf bezogenen Löschungs- und Sperrmitteilung jedenfalls ernsthaft in Betracht kommt, dass der streitgegenständliche Inhalt von dem Anbieter des sozialen Netzwerks in der Annahme des Vorliegens rechtswidriger Inhalte gelöscht worden ist. Ist das der Fall, trifft die Schuldnerin die sekundäre Darlegungslast dazu, welche Annahme der streitgegenständlichen Löschung und Sperrung zugrunde lag.

Soweit das Oberlandesgericht Köln in der angefochtenen Entscheidung festgestellt hat, von den Parteien werde nicht geltend gemacht, bei der von der Schuldnerin gelöschten Äußerung des Gläubigers handele es sich um einen Inhalt, der einen in § 1 Abs. 3 NetzDG aufgeführten Tatbestand erfülle und damit als rechtswidriger Inhalt anzusehen sei, reicht dies nicht aus, um eine Anwendbarkeit von § 5 Abs. 1 Satz 2 NetzDG zu verneinen. Diese Feststellung trägt insbesondere nicht den Schluss auf (fehlenden) Vortrag des Gläubigers zu den Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Satz 2 NetzDG. Es liegt in der Natur der Sache, dass der Gläubiger, der die Wiederherstellung entfernter oder gesperrter Inhalte begehrt, nicht davon ausgeht, bei diesen handele es sich um rechtswidrige Inhalte im Sinne von § 1 Abs. 3 NetzDG. Davon zu trennen ist die Frage, ob der Gläubiger Vortrag dazu gehalten hat, dass der Löschung der Inhalte auf Seiten des Netzwerkbetreibers die (unbegründete) Annahme zugrunde lag, es handele sich um die Verbreitung rechtswidriger Inhalte.

Kommt das Oberlandesgericht Köln bei der erneuten Prüfung von § 5 Abs. 1 Satz 2 NetzDG zu dem Ergebnis, dass die Voraussetzungen für eine Zustellung an den inländischen Zustellungsbevollmächtigten auch nach den oben dargestellten Maßstäben nicht erfüllt sind, wird es zu prüfen haben, ob dem Antrag des Gläubigers auf Festsetzung eines Ordnungsgelds mit Blick auf die gemäß § 192 Satz 1, § 183 Abs. 1 ZPO am Sitz der Schuldnerin in Irland bewirkte Zustellung – gegebenenfalls teilweise – stattzugeben ist. Die Zustellungsbescheinigung (Certificate of Service of Document) befindet sich bei den Akten.

Kommt das Oberlandesgericht Köln zu dem Ergebnis, dass die Voraussetzungen für eine Zustellung an den inländischen Zustellungsbevollmächtigten nach den oben dargestellten Maßstäben erfüllt sind, stellt sich die bereits im angefochtenen Beschluss aufgeworfene Frage, ob § 5 Abs. 1 Satz 1 und 2 NetzDG mit dem Herkunftslandprinzip des Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2000/31/EG vereinbar ist, die zum jetzigen Zeitpunkt noch keiner Entscheidung bedarf.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10. November 2022 – I ZB 10/22

  1. vgl. BGH, Beschluss vom 11.10.2017 – I ZB 96/16, GRUR 2018, 292 14] mwN = WRP 2018, 473[]
  2. vgl. BGH, Urteil vom 10.07.2014 – I ZR 249/12, GRUR 2015, 196 17] = WRP 2015, 209 – Nero; Beschluss vom 08.12.2016 – I ZB 118/15, GRUR 2017, 318 13] = WRP 2017, 328[]
  3. BGBl. I S. 1436[]
  4. OLG Köln, Beschluss vom 14.02.2022 – 15 W 3/22[]
  5. vgl. Begründung des Regierungsentwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes, BT-Drs.19/18792, S. 54[]
  6. vgl. BT-Drs.19/18792, S. 54[][]
  7. BT-Drs.19/18792, S. 17 und 54[]
  8. vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, BT-Drs. 18/12356, S. 10 und 27; gleichlautend insoweit der Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken, BT-Drs. 18/12727, S. 9[]
  9. vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz, BT-Drs. 18/13013, S. 11 und 23[]
  10. vgl. zum Beispiel Peukert, MMR 2018, 572, 575 und 578; Höch, NJW 2019, 2625, 2626[]
  11. vgl. dazu BT-Drs. 18/12356, S. 11 und 18; 19/18792, S. 16 und 21[]
  12. vgl. OLG Köln, Rpfleger 1997, 31 9]; Zöller/Seibel aaO § 890 Rn. 13[]
  13. vgl. Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität vom 30.03.2021, BGBl. I S. 441, 445 f.[]
  14. vgl. BGH, Urteil vom 25.11.1993 – IX ZR 32/93, BGHZ 124, 237 16 f.]; Großkomm.UWG/Halfmeier, 3. Aufl., Einleitung Kap. E Rn. 245; ausführlich Roth in Stein/Jonas aaO § 1 Rn. 24 bis 32[]
  15. zur deliktischen Haftung vgl. BGH, Urteil vom 10.02.2015 – VI ZR 343/13, NJW-RR 2015, 1279 11]; Beschluss vom 16.08.2016 – VI ZR 634/15, NJW-RR 2016, 1360 14] mwN; zur grundsätzlichen Anwendbarkeit in der Zwangsvollstreckung vgl. Stadler in Musielak/Voit aaO § 138 Rn. 1 und 9 mwN; Anders in Anders/Gehle, ZPO, 80. Aufl., § 138 Rn. 7[]
  16. zur Darlegungslast bei einer behaupteten Schmiergeldabrede vgl. BGH, Urteil vom 18.01.2018 – I ZR 150/15, NJW 2018, 2412 26][]
  17. vgl. BGH, NJW 2018, 2412 30][]