Der Unternehmer kann für eine in einem anderen Mitgliedstaat erbrachte steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung im Inland keinen Anspruch auf Steuerminderung geltend machen.

Gewährt der Unternehmer einem Endverbraucher anlässlich einer ersten Lieferung für eine an ihn erbrachte Leistung eine Aufwandsentschädigung, die der Endverbraucher zum verbilligten Bezug einer Ware vom Unternehmer im Rahmen einer zweiten Lieferung verwendet, setzt sich die Bemessungsgrundlage für die zweite Lieferung aus der (um die Aufwandsentschädigung verminderten) Zahlung und dem Betrag der Aufwandsentschädigung zusammen.
In dem hier vom Bundesfinanzhof entschiedenen Fall war streitig, ob die klagende Versandapotheke aus der Gewährung von Aufwandsentschädigungen, die sie anlässlich der Lieferung verschreibungspflichtiger Arzneimittel an gesetzlich krankenversicherte Personen (Kassenversicherte) im Jahr 2013 (Streitjahr) gewährte, zu einer Entgeltminderung berechtigt ist. Die Entgeltminderung betrifft zwei Fallgestaltungen, die sich dadurch unterscheiden, dass der Kassenversicherte im ersten Fall für den Bezug des verschreibungspflichtigen Arzneimittels zuzahlungsverpflichtet war, während im zweiten Fall eine Befreiung von dieser Zuzahlungspflicht bestand.
Die verschreibungspflichtigen Arzneimittel lieferte die Versandapotheke aus den Niederlanden in das Inland. Die Versandapotheke versprach dabei eine sog. Aufwandsentschädigung für die Beantwortung von Fragen zur jeweiligen Erkrankung im Rahmen eines sog. „Arzneimittel-Checks“. Dabei handelte es sich um einen Fragebogen sowie um ggf. telefonische Befragungen, bei denen der Versicherte u.a. Angaben zu Unverträglichkeiten, Allergien, Schwangerschaften, (Vor-)Erkrankungen und bereits eingenommenen Medikamenten machen sollte. Die Aufwandsentschädigung für die Teilnahme am „Arzneimittel-Check“ verrechnete die Versandapotheke bei Kassenversicherten, die für den Bezug des verschreibungspflichtigen Arzneimittels Zuzahlungen zu leisten hatten, mit diesem Zuzahlungsbetrag, sodass es zu keiner Auszahlung kam. Von der Zuzahlungspflicht befreite Kassenversicherte konnten die Aufwandsentschädigung demgegenüber zur Preisminderung beim Erwerb anderer Gegenstände von der Versandapotheke, wie etwa verschreibungsfreier Arzneimittel, verwenden. Die Versandapotheke rechnete die Lieferung der verschreibungspflichtigen Arzneimittel zugunsten von Kassenversicherten mit der jeweiligen gesetzlichen Krankenkasse ab. Die gesetzlichen Krankenkassen vergüteten diese Lieferungen aufgrund sozialversicherungsrechtlicher Regelungen. Die Versandapotheke behandelte diese Lieferungen seit 01.10.2013 in den Niederlanden als steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen an die gesetzlichen Krankenkassen, wobei diese im Inland einen korrespondierenden innergemeinschaftlichen Erwerb versteuerten.
Soweit die Versandapotheke Aufwandsentschädigungen, die sie bei der (in den Niederlanden) steuerfreien Lieferung verschreibungspflichtiger Arzneimittel gewährte, mit der Zuzahlungspflicht der Kassenversicherten verrechnete, machte die Versandapotheke eine Minderung der Bemessungsgrundlage für die an Privatversicherte im Inland steuerpflichtig ausgeführten Lieferungen geltend. Dem folgte das Finanzamt nicht und erließ einen Änderungsbescheid für den Vorauszahlungszeitraum Oktober 2013, gegen den die Versandapotheke erfolglos Einspruch einlegte und Klage zum Finanzgericht erhob. Während des finanzgerichtlichen Verfahrens wurden der Umsatzsteuerbescheid 2013 zum Gegenstand des Klageverfahrens nach § 68 FGO.
Die Klage hatte vor dem Finanzgericht Düsseldorf keinen Erfolg[1]. Im Revisionsverfahren hat der Bundesfinanzhof das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt [2]:
- Ist eine Apotheke, die Arzneimittel an eine gesetzliche Krankenkasse liefert, aufgrund einer Rabattgewährung an den Krankenversicherten zur Minderung der Steuerbemessungsgrundlage auf der Grundlage des Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Union Elida Gibbs Ltd. vom 24.10.1996[3] berechtigt?
- Bei Bejahung: Widerspricht es den Grundsätzen der Neutralität und der Gleichbehandlung im Binnenmarkt, wenn eine Apotheke im Inland die Steuerbemessungsgrundlage mindern kann, nicht aber eine Apotheke, die aus einem anderen Mitgliedstaat an die gesetzliche Krankenkasse innergemeinschaftlich steuerfrei liefert?
Hierauf hat der Unionsgerichtshof wie folgt geantwortet[4]:
„Art. 90 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem ist dahin auszulegen, dass eine in einem Mitgliedstaat niedergelassene Apotheke nicht zur Minderung ihrer Steuerbemessungsgrundlage berechtigt ist, wenn sie Lieferungen pharmazeutischer Produkte als in diesem Mitgliedstaat von der Mehrwertsteuer befreite innergemeinschaftliche Lieferungen an eine gesetzliche Krankenkasse mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat erbringt und den bei dieser Krankenkasse versicherten Personen einen Rabatt gewährt.“
Der Bundesfinanzhof bestätigte daraufhin nun das Düsseldorfer Urteil und wies auch die Revision der Versandapotheke als unbegründet zurück:
Der Versandapotheke steht kein Anspruch auf Entgeltminderung aufgrund der Verrechnung von Aufwandsentschädigungen mit Zuzahlungspflichten von Kassenpatienten zu. Denn ein Unternehmer kann für eine in einem anderen Mitgliedstaat erbrachte steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung im Inland keinen Anspruch auf Steuerminderung geltend machen. Der Bundesfinanzhof kann daher offenlassen, ob überhaupt ein Preisnachlass vorliegt.
Hat der Unternehmer für eine im Inland steuerpflichtige Lieferung ein höheres Entgelt versteuert, als ihm für die Lieferung zusteht, ist er zu einer Minderung der für diese Lieferung festgesetzten Steuer berechtigt.
Dies ergibt sich aus § 10 Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes in der im Streitjahr geltenden Fassung (UStG) bei der Versteuerung eines bereits bei der Lieferung überhöhten Entgelts sowie aus § 17 Abs. 1 Satz 1 UStG für den Fall einer nachträglichen Entgeltminderung. Unionsrechtlich beruhen diese Vorschriften auf Art. 73 und 90 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL). Welcher dieser Fälle vorliegend gegeben sein könnte, ist nicht zu entscheiden. Denn die Steuerminderung setzt in beiden Fällen eine im Inland steuerpflichtige Lieferung voraus. Bei einem von vornherein überhöht versteuerten Entgelt folgt dies aus § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG als Bedingung für die Entgeltbemessung nach § 10 UStG. Im Fall einer späteren Preisminderung setzt bereits der Wortlaut von § 17 Abs. 1 Satz 1 UStG einen „steuerpflichtigen Umsatz“ voraus.
Im Streitfall fehlt es an einer im Inland steuerpflichtigen Lieferung, für die die Versandapotheke eine Entgeltminderung gewährt haben könnte.
Die Versandapotheke lieferte verschreibungspflichtige Arzneimittel aus dem übrigen Gemeinschaftsgebiet an gesetzliche Krankenkassen in das Inland. Damit hat sie im übrigen Gemeinschaftsgebiet steuerfreie Lieferungen ausgeführt, während die gesetzlichen Krankenkassen als Abnehmer im Inland die sog. Erwerbsbesteuerung durchzuführen hatten. Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist der Bundesfinanzhof insoweit auf seinen Beschluss in BFHE 265, 469, BStBl II 2020, 164, Rz 28 ff. An der dort vorgenommenen Bestimmung der Leistungsbeziehungen ist weiter festzuhalten.
Dies wird entgegen der Auffassung der Versandapotheke nicht durch das EuGH-Urteil „Boehringer Ingelheim“[5] in Frage gestellt. Bei dieser Entscheidung ging der EuGH davon aus, dass der Steuerpflichtige „Arzneimittel, die vom staatlichen Krankenversicherungsträger bezuschusst werden, über Großhändler an Apotheken [verkauft], die diese an bei diesem Träger versicherte Personen weiterverkaufen; dabei zahlen die Versicherten den Apotheken die Differenz zwischen dem Preis des Arzneimittels und dem vom nationalen Krankenversicherungsträger direkt an die Apotheken gezahlten Zuschussbetrag. Nach privatrechtlichen Verträgen, die mit dem staatlichen Krankenversicherungsträger geschlossen wurden, leistet … [die Steuerpflichtige] an diesen Träger wiederum für die von ihr vertriebenen bezuschussten Arzneimittel Zahlungen in einer in diesen Verträgen festgelegten Höhe, die von den Einnahmen aus dem Verkauf dieser Arzneimittel abgezogen werden“.
Hierzu geht der EuGH in diesem Urteil (unter Bezugnahme auf sein früheres Urteil „Boehringer Ingelheim Pharma“[6]) davon aus, dass, da „die Apotheke die Mehrwertsteuer auf den vom Patienten gezahlten Betrag, aber auch auf den Betrag zu entrichten hat, der ihr vom staatlichen Krankenversicherungsträger für die bezuschussten Arzneimittel gezahlt wird, (…) Letzterer als Endverbraucher einer Lieferung eines mehrwertsteuerpflichtigen pharmazeutischen Unternehmens anzusehen ist, sodass der von der Finanzverwaltung erhobene Betrag den vom Endverbraucher gezahlten Betrag nicht übersteigen darf (…)“.
Danach liegt dem EuGH-Urteil Boehringer Ingelheim[7] eine Leistungskette zugrunde, bei der der Steuerpflichtige über Großhändler und Apotheken an den staatlichen Krankenversicherungsträger liefert, bei dem der Patient versichert ist. Dies entspricht der Bestimmung der Leistungsbeziehungen im Streitfall, bei dem die Versandapotheke an die gesetzliche Krankenkasse des Kassenversicherten liefert.
Im Übrigen ging es im Urteil Boehringer Ingelheim[7] um Inlandslieferungen und damit nicht um eine Entgeltminderung für eine steuerfreie Lieferung wie im Streitfall. Zudem nimmt der EuGH hier in Rz 42 und Rz 44 ff. auf sein früheres Urteil Boehringer Ingelheim Pharma[8] Bezug, das auch dem im vorliegenden Streitfall ergangenen EuGH-Urteil „Firma Z“[9] zugrunde liegt.
Es bestehen keine unionsrechtlich begründeten Zweifel daran, dass der (unterstellte) Preisnachlass durch Verzicht auf die Erhebung der Zuzahlung von Kassenversicherten im Inland keinen Minderungsanspruch begründet, wenn sich der Preisnachlass auf im übrigen Gemeinschaftsgebiet steuerfrei erbrachte Lieferungen bezieht.
Der Unionsgerichtshof hat für den vorliegenden Streitfall entschieden[10], dass eine in einem Mitgliedstaat niedergelassene Apotheke nicht zur Minderung ihrer Steuerbemessungsgrundlage berechtigt ist, wenn sie Lieferungen pharmazeutischer Produkte als in diesem Mitgliedstaat von der Mehrwertsteuer befreite innergemeinschaftliche Lieferungen an eine gesetzliche Krankenkasse mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat erbringt und den bei dieser Krankenkasse versicherten Personen einen Rabatt gewährt.
Die Einwendungen der Versandapotheke hiergegen greifen nicht durch.
Die Annahme der Versandapotheke, dass das im Streitfall ergangene EuGH-Urteil[11] nicht zur Klärung der aufgeworfenen Rechtsfragen beiträgt, da der Bundesfinanzhof nach ihrer Auffassung vom Unionsgerichtshof in Erfahrung bringen wollte, ob eine Leistungskette vorliegt, geht fehl. Es bestehen nach dem Vorlagebeschluss in BFHE 265, 469, BStBl II 2020, 164 und dem hierauf ergangenen EuGH-Urteil keine Zweifel daran, dass die Versandapotheke an die gesetzlichen Krankenkassen lieferte.
Soweit die Versandapotheke im Zusammenhang mit der unterbliebenen Beantwortung der zweiten Vorlagefrage[12] vorträgt, dass der Unionsgerichtshof „nicht präzise genug gearbeitet“ habe, „die Vorlagefrage nicht richtig verstanden“ habe und daher „keine für das hiesige Verfahren weiterführende Antwort liefern“ konnte, ergibt sich aus dieser Kritik nichts für die materiell-rechtliche Beurteilung des Streitfalls. Insbesondere ist aus der Bezugnahme des EuGH auf Art. 90 MwStSystRL nicht abzuleiten, dass dieser eine anderweitige Entgeltminderung als möglich betrachtet.
Obwohl die Versandapotheke aufgrund der Nichtbeantwortung der zweiten Vorlagefrage eine nochmalige Befassung des EuGH als erforderlich ansieht, sind Zweifel an der zutreffenden Auslegung des Unionsrechts zu verneinen. Denn die Versandapotheke lässt unbeachtet, dass mit der ersten Frage des Vorabentscheidungsersuchens geklärt werden sollte, ob im Streitfall nach den rechtlichen Maßstäben des Unionsrechts dem Grunde nach eine Leistungskette im Sinne des EuGH-Urteils „Elida Gibbs Ltd.“[13] vorliegt, bei der eine Vorteilseinräumung zugunsten einer anderen Person als dem Abnehmer der eigenen Lieferung zu einer Entgeltminderung führt. Nur für den Fall, dass eine derartige Leistungskette vorliegt, war ergänzend durch die zweite Frage in Erfahrung zu bringen, ob die Steuerfreiheit der ersten Lieferung in einem anderen Mitgliedstaat der Annahme einer Entgeltminderung im Inland entgegensteht.
Mit seiner Antwort hierzu hat der EuGH formal die erste Frage verneint, dies aber inhaltlich mit dem Gegenstand der zweiten Frage verknüpft, indem er die Entgeltminderung aufgrund der Steuerfreiheit der innergemeinschaftlichen Lieferung in einem anderen Mitgliedstaat verneint. Aus dem Urteil „Firma Z“ des Unionsgerichtshofs[9] ergibt sich somit ohne jeden Zweifel, dass der EuGH die Annahme einer Entgeltminderung für die hier vorliegende Fallgestaltung ablehnt. Daher geht die Annahme der Versandapotheke, dass es für die Beurteilung im Streitfall noch einer Antwort auf die zweite Frage des Vorlagebeschlusses bedarf, fehl.
Die weiteren Einwendungen der Versandapotheke hiergegen greifen nicht durch.
Die Bedeutung der von der Versandapotheke in diesem Zusammenhang angeführten Verwaltungsregelung in Abschn. 10.3 Abs. 7 Satz 3 UStAE kann dahingestellt bleiben, da norminterpretierenden Verwaltungsregelungen im gerichtlichen Verfahren keine Bindungswirkung zukommt[14].
Ob sich aus der Versagung einer Entgeltminderung eine Benachteiligung der Versandapotheke im Vergleich zu Inlandsapotheken ergibt, hat der Bundesfinanzhof nach Vorlage an den EuGH und dem EuGH, Urteil nicht zu entscheiden, zumal die Versandapotheke außer Betracht lässt, dass Inlandsapotheken einem Rabattverbot unterliegen, das der EuGH lediglich zugunsten grenzüberschreitender Apotheken außer Kraft gesetzt hat[15]. Dementsprechend ging auch die Bundesregierung in dem beim EuGH geführten Verfahren davon aus, dass es inländischen Apotheken nach nationalem Recht untersagt war, Rabatte auf Arzneimittel zu gewähren[16].
Die Frage nach einer Benachteiligung könnte sich daher nur stellen, wenn feststünde, dass Inlandsapotheken im Streitjahr entgegen diesem Verbot Rabatte gewährt und zudem hieraus auch noch die umsatzsteuerrechtliche Rechtsfolge einer Entgeltminderung gezogen hätten. Derartiges ergibt sich weder aus den von der Versandapotheke nicht angegriffenen und daher für den Bundesfinanzhof bindenden Feststellungen des Finanzgericht (§ 118 Abs. 2 FGO) noch anderweitig.
Auf die Überlegungen der Versandapotheke zu einem „Lösungsansatz über die Annahme einer steuerpflichtigen Lieferung“ kommt es nicht an. Die nach dem UStG und der MwStSystRL bestehende Rechtslage, die dazu führt, dass die gesetzlichen Krankenkassen zur Durchführung der Erwerbsbesteuerung verpflichtet waren, wird im Hinblick auf die Bindung an Gesetz und Recht nach Art.20 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG) nicht dadurch zur Disposition gestellt, dass die Versandapotheke meint, es sei für sie vorteilhaft, die den gesetzlichen Krankenkassen obliegende Erwerbsbesteuerung durch eine von ihr vorzunehmende Inlandsbesteuerung (mit einer dabei unterstellten Zahlungspflichterhöhung der Krankenkassen an die Versandapotheke) zu ersetzen.
Auf eine von der Versandapotheke in diesem Zusammenhang angeführte Beurteilung zu anderen Sachverhalten[17] kommt es aus den bereits dargelegten Gründen nicht an.
Ebenso ist es unter Beachtung von Art.20 Abs. 3 GG nicht möglich, der Versandapotheke einen gesetzlich nicht geregelten Erstattungsanspruch zuzusprechen, der vom EuGH unionsrechtlich nicht gefordert wird. Die Gesetzesbindung hat Vorrang gegenüber den Überlegungen der Versandapotheke, nach denen der Nachteil auszugleichen sei, dass „die aufgrund des Neutralitätsgrundsatzes an sich gebotene Minderung der Bemessungsgrundlage rechtstechnisch nicht zum Tragen kommt“. Insoweit lässt die Versandapotheke zudem außer Acht, dass es der Grundsatz der steuerrechtlichen Neutralität nach der Rechtsprechung des EuGH nicht erlaubt, den Geltungsbereich von Vorschriften auszuweiten, da er keine Regel des Primärrechts, sondern nur ein Auslegungsgrundsatz ist[18].
Auf die Frage, ob die von der Versandapotheke an die Kassenversicherten gewährten Aufwandsentschädigungen die gesetzlichen Krankenkassen zu einer Minderung der Erwerbssteuer berechtigten könnten, kommt es im Streitfall nicht an, da hierfür keine steuerrechtliche Anspruchsberechtigung der Versandapotheke besteht. Zudem ist über die zivilrechtlichen Folgen eines derartigen Minderungsanspruchs der gesetzlichen Krankenkassen nicht im Besteuerungsverfahren der Versandapotheke zu entscheiden. Im Übrigen kommt es auf hypothetische Überlegungen zur Handlungsweise der gesetzlichen Krankenkassen, wenn diese Kenntnis vom Zuzahlungsverzicht der Versandapotheke hätten, nicht an, da der Besteuerung der tatsächlich verwirklichte Sachverhalt zugrunde zu legen ist[19].
Weiter leitet die Versandapotheke aus einem Schrifttumsbeitrag[20] ab, dass eine „Lösung über das Sozialrecht zu suchen“ sei, verweist aber selbst darauf, dass „keine ‚Flucht ins Sozialrecht‘ möglich“ sei. Dabei macht sie auch geltend, dass sie in ihrem Recht aus Art. 3 Abs. 1 GG verletzt sei, wobei sie aber wiederum außer Acht lässt, dass Inlandsapotheken einem Rabattverbot unterlägen. Zwar verweist sie auch selbst auf den von ihr als Bonusverbot bezeichneten § 129 Abs. 3 Satz 3 SGB V, wonach Apotheken „Versicherten keine Zuwendungen gewähren“ dürfen. Ob diese, nach dem Streitjahr in Kraft getretene Regelung, wie die Versandapotheke vorträgt, rechtswidrig ist, spielt aber keine Rolle, solange davon auszugehen ist, dass sich Inlandsapotheken an das bereits im Streitjahr bestehende Zuwendungsverbot gehalten haben. Einer nur in Bezug auf einen fiktiven Vergleichsfall behaupteten Ungleichbehandlung ist nicht nachzugehen.
Soweit die Versandapotheke darauf verweist, dass ein Ausschluss ihres Unternehmens von der Versorgung von Kassenversicherten ihrer wirtschaftlichen Existenzvernichtung gleichkäme, ist nichts dafür ersichtlich, dass die Verneinung eines umsatzsteuerrechtlichen Minderungsausspruchs aufgrund des von ihr ausgesprochenen Verzichts auf die Erhebung von Zuzahlungen bei Kassenversicherten zu einem derartigen Ausschluss oder einer derartigen Gefährdung führen könnte und weshalb dies weitergehend für das Festsetzungsverfahren von Bedeutung sein sollte.
Auf Fragen eines von der Versandapotheke schließlich angesprochenen Billigkeitsverfahrens kommt es für das vorliegende Festsetzungsverfahren nicht an.
Lediglich ergänzend verweist der Bundesfinanzhof darauf, dass die Versandapotheke auch nicht entsprechend ihrer ursprünglichen Rechtsauffassung berechtigt ist, aufgrund der Gewährung von Aufwandsentschädigungen an zuzahlungspflichtige Kassenversicherte die Bemessungsgrundlage für Inlandslieferungen an Privatversicherte zu mindern[21].
Die Versandapotheke ist auch nicht insoweit zur Entgeltminderung berechtigt, als sie von der Zuzahlungspflicht befreiten Kassenpatienten Aufwandsentschädigungen zugesagt hat. Gewährt der Unternehmer einem Endverbraucher anlässlich einer ersten Lieferung für eine an ihn erbrachte Leistung eine Aufwandsentschädigung, die der Endverbraucher zum verbilligten Bezug einer Ware vom Unternehmer im Rahmen einer zweiten Lieferung verwendet, setzt sich die Bemessungsgrundlage für die zweite Lieferung aus der (um die Aufwandsentschädigung verminderten) Zahlung und dem Betrag der Aufwandsentschädigung zusammen.
Im Ausgangspunkt zutreffend weist die Versandapotheke darauf hin, dass der beim entgeltlichen Warenerwerb eingeräumte Anspruch auf Preisnachlass für zukünftig zu liefernde Waren zu einer Minderung des Entgelts für diese zweite Lieferung führen kann.
Die Versandapotheke lässt aber außer Betracht, dass es hierfür nach der EuGH-Rechtsprechung zu z.B. Preisnachlassgutscheinen darauf ankommt, dass der Steuerpflichtige diese „kostenlos“ an seine Kunden für den verbilligten Bezug weiterer Waren bei ihm ausgibt[22]. Es kann sich dann das Entgelt für die zweite Lieferung mindern, da der Unternehmer aufgrund des „kostenlosen“ Preisnachlasses einen geringeren „Wert der Gegenleistung“ für diese Lieferung „erhält“ (vgl. Art. 73 MwStSystRL).
In Bezug auf die Kostenlosigkeit derartiger Preisnachlässe ist dabei zu beachten, dass Nachlässe etc. auch die Abgeltung einer durch den (Nachlass-) Empfänger erbrachten Leistung verbergen können[23].
Im Streitfall räumte die Versandapotheke den Kassenversicherten die Aufwandsentschädigung nicht kostenlos ein, sondern machte sie davon abhängig, dass die Kassenversicherten den „Arzneimittel-Check“ durchführten und damit eine Leistung an die Versandapotheke erbrachten. Denn mit der Durchführung des „Arzneimittel-Checks“ überließen die Kassenversicherten persönliche Daten an die Versandapotheke, die es ihr nach ihrem Vortrag überhaupt erst ermöglichten, verschreibungspflichtige Arzneimittel abzugeben, sodass die Kassenversicherten der Versandapotheke als Leistungsempfängerin einen Vorteil einräumten, den diese ohne die Leistung der Kassenversicherten nicht erhalten konnte[24].
Damit setzt sich die Bemessungsgrundlage für die zweite Lieferung aus der geminderten Zahlung des Kassenversicherten und dem Wert der Aufwandsentschädigung zusammen.
Soweit die Versandapotheke hiergegen einwendet, dass der „Arzneimittel-Check“ eigentlich bloß ein Vorwand für die Gewährung einer Preisermäßigung war und daher nur fiktiven Charakter hatte, macht die Versandapotheke keine zulässigen und begründeten Revisionsgründe geltend, die die Bindungswirkung der tatsächlichen Feststellungen des Finanzgericht (§ 118 Abs. 2 FGO) entfallen lassen könnten.
Im Übrigen ist nicht zu entscheiden, ob daraus folgt, dass die Annahme einer Entgeltminderung auch für den Fall der Gewährung der Aufwandsentschädigung an zuzahlungsverpflichtete Kassenversicherte zu verneinen ist, da dort die Entgeltminderung bereits aus anderen Gründen scheitert. Von dieser Fallgestaltung unterscheidet sich die hier vorliegende Gewährung der Aufwandsentschädigung an zuzahlungsbefreite Kassenversicherte durch die Verwendung als Preisermäßigung für andere Lieferungen, wodurch die Aufwandsentschädigung einen eigenständigen Charakter mit weitergehender Bedeutung erhielt, der sich nicht auf die Erlangung einer Preisermäßigung für das Arzneimittel, auf das sich der „Arzneimittel-Check“ bezog, beschränkte.
Das Finanzgericht hat auch zutreffend entschieden, dass der Antrag auf Feststellung, dass die Lieferungen verschreibungspflichtiger Arzneimittel nicht an die gesetzlichen Krankenkassen, sondern direkt an die Kassenversicherten erbracht wurden und steuerpflichtig waren, sodass sich die Bemessungsgrundlage um die Aufwandsentschädigungen mindert, unzulässig ist, da die von der Versandapotheke begehrte Feststellung nach § 41 Abs. 2 Satz 1 FGO subsidiär ist[25].
Im Streitfall ist über die umsatzsteuerrechtliche Abnehmereigenschaft bei den von der Versandapotheke ausgeführten Lieferungen im Rahmen der Steuerfestsetzung zu entscheiden. Es bedarf daher keiner gesonderten Feststellung, „dass ihre Lieferungen verschreibungspflichtiger Medikamente nicht an die gesetzlichen Krankenkassen, sondern direkt an den Versicherten erbracht werden“. Dass der Versandapotheke „kein Rechtsschutz über eine Anfechtungsklage gegen ihre Umsatzsteuerbescheide möglich“ sei, wird schon dadurch widerlegt, dass der Bundesfinanzhof im vorliegenden Anfechtungsfall über die Person des Abnehmers der von ihr ausgeführten Lieferungen entscheidet. Ein Feststellungsinteresse könnte daher nur dann bestehen, wenn die Versandapotheke geltend machen könnte, eine Berichtigung für einen im Inland nicht erklärten Umsatz verlangen zu können. Dies trifft aber nicht zu.
Dem steht auch nicht entgegen, dass sich die von der Versandapotheke begehrte Feststellung auf einen Dauersachverhalt bezieht. Aufgrund des Prinzips der Abschnittsbesteuerung sind für jeden Besteuerungszeitraum die Besteuerungsgrundlagen (hier die Frage der Abnehmereigenschaft) selbständig festzustellen sowie der Sachverhalt und die Rechtslage ohne Bindung an die frühere Beurteilung neu zu prüfen[26].
Ein weiteres Vorabentscheidungsersuchen kommt nicht in Betracht. Unter Berücksichtigung des im Revisionsverfahren bereits eingeholten EuGH, Urteils hat der Bundesfinanzhof keine Zweifel an der Auslegung der im Streitfall zu beachtenden unionsrechtlichen Bestimmungen.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 18. November 2021 – V R 4/21
- FG Düsseldorf, Urteil vom 17.02.2017 – 1 K 2164/14 U[↩]
- BFH, Beschluss vom 06.06.2019 – V R 41/17, BFHE 265, 469, BStBl II 2020, 164[↩]
- EuGH, Urteil Elida Gibbs Ltd. vom 24.10.1996 – C 317/94, EU:C:1996:400[↩]
- EuGH, Urteil Firma Z vom 11.03.2021 – C-802/19, EU:C:2021:195[↩]
- EuGH, Urteil Boehringer Ingelheim vom 06.10.2021 – C-717/19, EU:C:2021:818[↩]
- EuGH, Urteil „Boehringer Ingelheim Pharma“ vom 20.12.2017 – C-462/16, EU:C:2017:1006[↩]
- EU:C:2021:818[↩][↩]
- EU:C:2017:1006[↩]
- EU:C:2021:195[↩][↩]
- EuGH, Urteil Firma Z, EU:C:2021:195[↩]
- EuGH, Firma Z, EU:C:2021:195[↩]
- BFH, Beschluss in BFHE 265, 469, BStBl II 2020, 164[↩]
- EuGH, Urteil Elida Gibbs Ltd.EU:C:1996:400, BStBl II 2004, 324[↩]
- vgl. z.B. BFH, Urteil vom 18.10.2017 – V R 46/16, BFHE 259, 488, BStBl II 2018, 672, Rz 44[↩]
- vgl. hierzu BFH, Beschluss in BFHE 265, 469, BStBl II 2020, 164, Rz 83 f., und EuGH, Urteil „DocMorris, Deutsche Parkinson Vereinigung“ vom 19.10.2016 – C-148/15, EU:C:2016:776, Leitsätze 1 und 2; vgl. auch Montag, Europäische Zeitschrift für Wirtschaft 2017, 936[↩]
- vgl. hierzu EuGH, Urteil Firma Z, EU:C:2021:195, Rz 32[↩]
- Finanzministerium des Landes Schleswig-Holstein vom 05.02.2021 – VI S 3510 – S 7200-670, Umsatzsteuer-Rundschau 2021, 329 zur Lieferung von Schutzmasken durch Apotheker an Anspruchsberechtigte auf Grund der Schutzmaskenverordnung[↩]
- EuGH, Urteil Deutsche Bank vom 19.07.2012 – C-44/11, EU:C:2012:484, BStBl II 2012, 945, Rz 45[↩]
- vgl. hierzu z.B. BFH, Beschluss vom 31.01.2013 – GrS 1/10, BFHE 240, 162, BStBl II 2013, 317, Rz 62, und BFH, Urteil vom 01.06.2016 – X R 43/14, BFHE 254, 536, BStBl II 2017, 55, Rz 20[↩]
- Heuermann, Zeitschrift für das gesamte Mehrwertsteuerrecht 2021, 634, 637[↩]
- vgl. BFH, Beschluss in BFHE 265, 469, BStBl II 2020, 164, Rz 108; sowie das im Streitfall ergangene EuGH, Urteil Firma Z, EU:C:2021:195, Rz 44[↩]
- EuGH, Urteile Boots Company vom 27.03.1990 – C-126/88, EU:C:1990:136, Rz 13, 21 und 22, und Kommission/Deutschland vom 15.10.2002 – C-427/98, EU:C:2002:581, Rz 55[↩]
- vgl. hierzu z.B. Stadie in Rau/Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, § 17 Rz 204[↩]
- vgl. hierzu auch BFH, Urteil vom 28.07.2011 – V R 28/09, BFHE 235, 22, BStBl II 2014, 406, Rz 17[↩]
- vgl. z.B. BFH, Urteil vom 03.09.2009 – IV R 38/07, BFHE 226, 283, BStBl II 2010, 60, unter II. 1.[↩]
- vgl. z.B. BFH, Urteil in BFHE 226, 283, BStBl II 2010, 60, unter II. 1.[↩]